Die Brückenklasse an der Comenius-Gesamtschule

5.3.1.  Eckpunkte

Die Schulwerkstatt startete mit dem Schuljahr 2001/2002 als Kooperationsprojekt des Jugendamtes der Stadt Neuss, des Kinder- und Jugendzentrum Kontakt Erfttal (Träger: Sozialdienst Katholischer Männer Neuss e.V.) und der Gemeinschaftshauptschule an der Gnadentaler Allee. Nach Auflösung der Schule wurde die Schulwerkstatt an die Geschwister-Scholl Hauptschule verlagert. Das Schulverwaltungsamt der Stadt übernahm im Jahr 2013 den städtischen Part, die Schulwerkstatt zählt hier zu den Maßnahmen am Übergang von der Schule in den Beruf.

Auf Grundlage des Beschlusses des Rates der Stadt Neuss vom 08.05.2015 bildete sich eine Projektgruppe bestehend aus den Akteuren der Schulwerkstatt mit dem Ziel, das bereits vorhandene Konzept den neuen Rahmenbedingungen anzupassen. Mit Auslaufen der Neusser Hauptschulen wechselte die Schulwerkstatt 2016 zum Schulzentrum Weberstraße. Die Comenius-Gesamtschule übernimmt seitdem den schulischen Projektteil.

Die Finanzierung erfolgt unverändert aus dem städtischen Haushalt und aus Mitteln des Kinder- und Jugendförderplanes des Landes NRW unter dem Titel „Projekte zur Vermeidung schulischen Scheiterns“ über das Landesjugendamt.

Die Grundstruktur aus schulischem und handwerklichem Lernen bleibt bestehen. Zukünftig wird der präventive Charakter durch den Einstieg bereits in Klasse 7 verstärkt. Der Zugang zur Schulwerkstatt steht grundsätzlich allen in Frage kommenden Neusser Schülerinnen und Schülern offen, sofern die Aufnahme an der Comenius-Gesamtschule erfolgen kann. Die Schule stellt entsprechende Lehrerstundenanteile für den Unterricht in den Kernfächern an drei Tagen in der Woche. Der übrige Teil der Woche wird in der Werkstatt des Kinder- und Jugendzentrums Kontakt Erfttal mit handwerklichen Projekten organisiert. Für die schulische Begleitung und die Projektarbeit im Kontakt Erfttal stehen 1,6 Personalstellen für sozialpädagogische Fachkräfte zur Verfügung.

5.3.2.  Zielgruppe der Schulwerkstatt/Brückenklasse

Die Schulwerkstatt/Brückenklasse befasst sich mit Schülerinnen und Schülern, die aufgrund vielschichtiger Probleme aus dem Lernprozess der Schule aussteigen oder herausfallen. Sie verweigern auf unterschiedlichste Art die Teilnahme am Unterricht und zeigen verschiedene charakteristische Merkmale auf:

  • Sie können sich nicht dauerhaft auf den Unterricht konzentrieren
  • Sie zeigen eine geringe Leistungsbereitschaft
  • Sie stören während ihrer Anwesenheit so massiv, dass ein geordneter Unterricht in der Regelklasse nicht möglich ist
  • Sie schwänzen immer wieder einzelne Tage oder haben die Schule über einen längeren Zeitraum unentschuldigt nicht besucht
  • Sie bedürfen einer Unterstützung, weil die Familie diese nicht leisten kann
  • Sie weisen Symptome von Lernbehinderung und Lernbeeinträchtigung auf.

Häufig handelt es sich auch um junge Migrantinnen und Migranten, denen schulische Grundlagen und Sprachkenntnisse fehlen. Ein neuer Schwerpunkt sind immer häufiger minderjährige Asylsuchende, die aufgrund ihrer Biografie nur sehr lückenhaft die Schule besucht haben.

Weist eine Schülerin oder ein Schüler eine oder mehrere der Verhaltensauffälligkeiten auf, kann die Zuweisung zur Schulwerkstatt/Brückenklasse erfolgen. Die Gründe für diese Verhaltensauffälligkeiten sind mannigfaltig, und oft sind die schulischen Auffälligkeiten das sichtbare Resultat einer jahrelangen Entwicklung. Einer Schulverweigerung gehen meist familiäre Probleme wie Vernachlässigung, Gewalterfahrung und Desinteresse oder Überforderung der Eltern voraus. Seltener spielen auch individuelle Faktoren wie z.B. ADS/ADHS oder bisher nicht erkannte Lernschwächen eine Rolle. In allen Fällen ist es den Lehrer/innen mit den gegebenen schulischen Mitteln nicht möglich, die Jugendlichen in den geregelten Schulalltag einzubinden.

5.3.3. Zielsetzung der Schulwerkstatt/Brückenklasse

Das primäre Ziel ist präventiver Natur. Erste Ansätze von Schulverweigerung mit dem daraus resultierenden schulischen Scheitern sollen frühzeitig erkannt und korrigiert werden. Eine baldige Rückführung in eine Regelklasse ist angestrebt, um den Erwerb eines Schulabschlusses nicht zu gefährden. Dazu wurde an der Comenius-Gesamtschule bewusst der Name „Brückenklasse“ gewählt. Die Schülerinnen und Schüler sollen das Angebot im Optimalfall nur für einen kurzen Zeitraum wahrnehmen. Es soll eine Hilfestellung – Brücke – geboten werden, damit der regelmäßige Schulbesuch wieder gewährleistet ist. Das gleiche Ziel verfolgt der methodische Ansatz aus handwerklichem und schulischem Lernen. Er soll die grundsätzliche Motivation für Schule wiederherstellen.

Daneben ergibt sich der sekundäre Effekt, dass durch das Herausnehmen der Schülerinnen und Schüler in der abgebenden Regelklasse für die verbleibenden Schülerinnen und Schüler wieder ungestörter Unterricht stattfinden kann.

Neben diesen gesetzten Zielen wird ein Hauptaugenmerk auf die berufliche Orientierung gesetzt.

5.3.3.1. Förderunterricht am Lernort Schule

An der Comenius-Gesamtschule werden die Kernfächer Mathematik, Deutsch und Englisch unterrichtet. Ergänzt wird der Stundenplan durch die Fächer Gesellschaftslehre, Natur-wissenschaften, Sport, Technik und Hauswirtschaft. Im Vergleich zur Regelklasse ist der Stundenumfang in der Schulwerkstatt geringer. Der Unterricht erfolgt nach einer leistungsspezifischen Differenzierung der Gruppe und erfordert von den Pädagogen ein hohes Maß an Flexibilität, Einsatzbereitschaft und Kreativität, damit die schulischen Inhalte, eventuell auch aus verschiedenen Jahrgangsstufen vermittelt werden können. Mit der Einrichtung der Schulwerkstatt an der Comenius-Gesamtschule – der Unterricht findet von Dienstag bis Donnerstag in der Schule statt – nehmen die Schülerinnen und Schüler weiterhin am sozialen Geschehen teil, pflegen im Schulumfeld ihre sozialen Kontakte und das Zugehörigkeitsgefühl wird begünstigt.

Die Klassenstärke von bis zu maximal 15 Schülerinnen und Schüler ermöglicht den mindestens zwei Betreuungspersonen bei Bedarf ein Eingehen auf individuelle Belange Einzelner, ohne den Unterricht für die restlichen Schülerinnen und Schüler zu unterbrechen bzw. zu behindern.

5.3.2. Sozialpädagogische Ansatz der Schulwerkstatt/Brückenklasse

Der sozialpädagogische Ansatz verfolgt die Anwesenheit und Begleitung in den Lernprozessen während des gesamten schulischen und werkpädagogischen Unterrichts. Es werden die gewonnenen Erkenntnisse aus dem beobachtbaren Verhalten der Gruppe und jeder Schülerin/jedes Schülers genutzt, um daraus die Maßnahmen für das soziale Training abzuleiten. Das soziale Training ist der Grundbestandteil der pädagogischen Einzel- und Gruppenarbeit. Ziel ist es, die Persönlichkeit zu festigen und die Wiedereingliederung in den Regelunterricht zu unterstützen. Die Verweildauer in der Schulwerkstatt/Brückenklasse hängt nicht zuletzt vom Erfolg des Sozialtrainings ab. Die Schülerinnen und Schüler werden dabei nicht alleine betrachtet, sondern ihr gesamtes soziales Umfeld wird miteinbezogen.

Darüber hinaus erhalten sie die Möglichkeit in Gesprächen Probleme und Schwierigkeiten zu besprechen und Unterstützung bei deren Bewältigung zu bekommen. Sie erhalten ein Coaching, das Perspektiven für die individuelle, familiäre und schulische Situation entwickelt. Dies schließt z.B. auch Hausbesuche, Elterngespräche, und Kooperationen mit anderen Institutionen wie Beratungsstellen, Jugendamt, Arbeitsamt, Therapeuten, Betriebe etc. ein.

Die Elternarbeit ist ein entscheidender Schwerpunkt der täglichen Arbeit und eine wichtige Kooperationsform der Schulwerkstatt/Brückenklasse. Sie kann beratenden Charakter haben aber auch bis hin zu Hausbesuchen ausgedehnt werden. Dies ist von jedem spezifischen Einzelfall abhängig. Eine kooperative Elternarbeit ist für den Erfolg von herausragender Bedeutung, der Ursprung der Schulverweigerung liegt nicht ausschließlich in der Schule begründet, vielmehr sind Probleme häufig auch im außerschulischen Bereich und in der Familie zu finden. Ob die Elternarbeit produktiv genutzt werden kann, hängt von dem jeweiligen Beteiligungswillen ab. Viele Eltern zeigen wenig Interesse am schulischen Leben ihrer Kinder, daher werden sie verstärkt in die Pflicht genommen. Jegliches Fehlen wird den Eltern unverzüglich über telefonische Kontakte gemeldet und eigenes fehlendes Engagement direkt angesprochen. Wenn die Zusammenarbeit nicht funktioniert, wird versucht, durch die Einschaltung des örtlichen Jugendamtes oder weiterer Fachdienste eine Verhaltensänderung bei den Schülerinnen, Schülern und Eltern zu erreichen. In letzter Konsequenz werden Ordnungsmaßnahmen ergriffen. Von Vorteil kann dabei die konzeptionelle räumliche Trennung der beiden Lernorte Schule und Jugendhilfeeinrichtung sein. Im Kinder- und Jugendzentrum Kontakt Erfttal steht den Mitarbeitern ein Beratungsbüro zur Verfügung, indem nachmittags Eltern-, Schülerinnen-, Schülerkontakte und Beratungsgespräche koordiniert und geführt werden können. Oftmals ist es positiv für die Gesprächssituation, wenn nicht wieder „die Schule“ anruft, sondern ein „anderer Ansprechpartner“. Ebenso kann bei Beratungsgesprächen eine andere Atmosphäre geschaffen werden. Es wird nicht in der Schule über schulische Probleme gesprochen, sondern außerhalb.

Abgerundet wird der sozialpädagogische Ansatz durch Sport-, Freizeit-, Erlebnispädagogische Aktivitäten, Ausflüge und Exkursionen. Diese leisten in den dynamischen Prozessen einen entscheidenden Beitrag zum Erwerb von sozialen Kompetenzen.

Außerdem sind Zubereitung und gemeinsamer Verzehr eines Mittagessens fester Bestandteil eines Schultages im Kinder- und Jugendzentrum Kontakt Erfttal. Hier wird auf kulturelle Hintergründe und die Herkunft der Schülerinnen und Schüler eingegangen, sodass die Gruppe die Möglichkeit hat, in fremde Essgewohnheiten anderer Kulturkreise Einblicke zu gewinnen. Das Interkulturelle Zusammenleben wird dadurch gestärkt.

5.3.3. Werkpädagogische Ansatz am Lernort Werkstatt

Am Montag und Freitag findet der Unterricht am Lernort der Jugendhilfeeinrichtung Kontakt Erfttal statt. In der Werkstattarbeit wird ein hohes Maß an Handlungsorientierung in Form von Projektarbeit erreicht. Die Projektarbeit verknüpft Theorie, Praxis und soziales Lernen und ist eine effektive Methode bei Schülerinnen und Schülern, die eher praktisch als theoretisch lernen. Es wird eine strukturierte Aufgabe erteilt, die in einem vorgegebenen Zeitrahmen bearbeitet werden soll. Es werden theoretische Vorgaben gemacht, deren Inhalte und Verständnis sich über die praktische Arbeit erschließen lassen. Motivation und Lernerfolg sind bei den Schülerinnen und Schülern mit diesem Ansatz nicht selten höher als im Schul- bzw. Förderunterricht. Über die Werkstattarbeit werden zusätzlich handwerkliche Tätigkeiten erlernt und Praxiserfahrung gesammelt, die eine berufliche Orientierung ermöglichen und berufliche Kompetenzen steigern. Die Projektinhalte geben eine Beschäftigung mit verschiedenen Werkstoffen vor. Die Schülerinnen und Schüler stellen Produkte mit geringem Zeitaufwand her, erkennen schnell ein Ergebnis und erfahren auf diesem Weg einen persönlichen Erfolg. Am Ende des Projektes steht ein präsentierfähiges Ergebnis. Als Beispiel, ist die Produktion von Korkpinnwänden für die Klassenräume der Schule zu nennen. Jede Pinnwand wird passgenau für den dafür vorgesehen Platz gebaut. Die Schülerinnen und Schüler nehmen Aufmaß und mit den Angaben beginnt die Planung in der Werkstatt. Mit einem solchen Projekt können sie ihr Selbstwertgefühl steigern und eine sinnvolle Arbeit für die Schule leisten. Die Schule wirkt an einem gewissen Punkt nicht mehr negativ, sondern Schüler und Schülerinnen sind bereit etwas Positives für die Schule zu leisten mit dem sie sich identifizieren können.

Der Vorteil der Projektmethode liegt im hohen Beteiligungsgrad und der Eigenverantwortung. Sie steigert die Identifikation mit der Aufgabe bzw. dem Produkt und das praktische Arbeiten fördert die Motivation. Zudem werden die Ausdauer, das Verantwortungsbewusstsein, die Organisationsfähigkeit und das Selbstbewusstsein begünstigt. Der nötige Handlungsrahmen, in dem die Schülerinnen und Schüler ihre Interessen und Neigungen einbringen können, wird vorgegeben. Neben dem hohen Lernfaktor über praktisches Arbeiten, ist die bereits beschriebene hohe Motivationsfähigkeit der Projektmethode erfolgreich und darüber hinaus begünstigt sie kooperatives Lernen. In diesem sozialen Lernprozess bringen sich die Schülerinnen und Schüler individuell in eine Partner- oder Gruppenarbeit ein. Die Selbstkompetenz jedes Einzelnen wird dabei gefördert. Sie kommunizieren miteinander und arbeiten sozial in der Gruppe. Entscheidungen werden im Kollektiv getroffen und gegebenenfalls revidiert. Dies kann zu Konflikten und Frustsituationen führen. Hier lernen sie in solchen Situationen angemessen zu reagieren und stärken ihre Sozialkompetenz, Kommunikations-, Team- und Konfliktfähigkeit. Jeder Einzelne bringt seine persönliche Leistung in die Projektgruppe ein und liefert seinen Beitrag zum Gelingen des Gemeinschaftsprojektes. Jeder kann seine Leistung mit denen der Anderen vergleichen. Kooperatives Lernen dient insbesondere zur Aneignung von Fachwissen und -kompetenz und ist besonders für heterogene Gruppen von Lernenden geeignet.

5.3.4. Schlussbemerkung

Die positiven Aspekte sollen nicht verhehlen, dass auch die Schulwerkstatt/Brückenklasse nur begrenzte Mittel und Möglichkeiten der Intervention hat. Sie kann keine therapeutische Arbeit leisten, und sie kann auch nicht alle Defizite beheben, die sich zum Teil über Jahre entwickelt haben. Die Schülerinnen und Schüler werden nicht „geheilt“, ihre Chancen auf Teilhabe an Bildung und Arbeit werden jedoch deutlich gesteigert.

Das vorliegende Konzept wurde gemeinsam vom Team des Kontakt Erfttal und Fachlehrern der Comenius-Gesamtschule erstellt und stellt die Grundlage für die Kooperation dar.

Neuss, im September 2021

Ansprechpartner

 

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41464 Neuss                                                         Bedburger Str. 57  

                                                                            41469 Neuss

 

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Herr Eichhorn

stephan.eichhorn@comeniusgesamtschule.de                           eichhorn@kontakt-erfttal.de

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